Hauptinhalt

Mit ideologisch verzerrter Rechnerei auf Irrwegen

Standpunkt vom 16. Januar 2020

Avenir Suisse sieht sich als Vordenkerin für die Schweizer Wirtschaft. Da dürfte man eigentlich erwarten, dass sie den Zusammenhang zwischen einer erfolgreichen Volkswirtschaft und der im Verhältnis zu den anderen Sektoren tieferen landwirtschaftlichen Wertschöpfung mit wenig Beschäftigten im 1. Sektor herstellen kann. Will sie aber nicht. Denn es geht ihr letztlich nur darum, den vermeintlichen Hemmschuh Landwirtschaft aus dem Weg zu räumen, der ihren ungehemmten Liberalisierungsabsichten sowie den Sparplänen für die öffentliche Hand im Wege steht. Ihre Theorien und Berechnungsgrundlagen stützt Avenir Suisse auf einen Vergleich der Schweizer Preise für Agrargüter mit den Weltmarktpreisen ab. Logisch, dass hier die Schweiz mit teurem Kostenniveau nicht mithalten kann. Das ist auch nicht das Ziel: Weltmarktpreise für Agrargüter sind oft nicht kostendeckend und sie berücksichtigen keinerlei negative externe Effekte, wie z.B. miserable Arbeits- oder Tierhaltungsbedingungen.

Wir sind mit Avenir Suisse einig, dass der administrative Aufwand für die Umsetzung der Agrarpolitik zu gross ist. Leider macht sie aber keinerlei nützliche Verbesserungsvorschläge. Ausser natürlich die vorgeschlagene «Tabula rasa». Für die so verbleibende «Schrumpflandwirtschaft» im industriellen Stil an den besten Standorten und in einigen wenigen lukrativen Nischenproduktionen braucht es dann auch nicht mehr so viele Beamte.

Viele Vorwürfe von Avenir Suisse verflüchtigen sich spätestens dann, wenn man berücksichtigt, dass die Faktoren Kosten und Leistungen der landwirtschaftlichen Produktion standortgebunden sind. Fällt die Hauptproduktion am Standort aus, geht auch das gemeinwirtschaftliche Koppelprodukt verloren oder würde ein Vielfaches der Kosten verschlingen (z.B. Landschaftspflege durch Landschaftsgärtner). Weiter löst man Umweltprobleme nicht, wenn man sie exportiert. Je weiter entfernt die Produktion stattfindet, desto schwieriger ist die Kontrolle der Produktionsmethoden oder die Vermeidung von externen Schäden (z.B. Tierwohl, Umweltschutz). Die Schweiz ist im Export von negativen Umwelteffekten Weltmeisterin. 75% unserer konsumbedingten Umweltauswirkungen fallen schon heute im Ausland an. Dazu passt, dass sich der Avenir Direktor am Marketing für Inlandeier stört. Aber warum braucht es ein solches: Weil wir in der Schweiz immer noch Billigst-Eier aus Käfighaltung importieren dürfen! Gefüttert sind diese Hühner mit GVO-Soja aus ehemaligen Regenwaldgebieten.

Die Berechnungen von Avenir Suisse zu den volkswirtschaftlichen Kosten basieren auf vielen ungesicherten Mutmassungen und Annahmen, die sie mit groben Schätzungen multiplizieren. So werden der Landwirtschaft willkürlich volkswirtschaftliche Kosten angelastet. Den Nutzen des Agrarsektors hingegen rechnen sie klein oder blendet ihn ganz aus, z.B. der Nutzen einer gepflegten Kulturlandschaft für den Tourismus.

Die «Denkfabrik» stand sich auch im «zweiten Aufwasch» ihres Privilegienregisters selbst auf den Füssen. Zu Verbissen verfolgt sie ihr eigentliches Ziel. Der von Avenir Suisse ersehnte Kahlschlag des Agrarsektors bringt unser Land nicht weiter. Statt einer radikalen Agrarpolitik brauchen wir für die Zukunft eine kohärente Schweizer Ernährungspolitik.  

Autor

Martin Rufer

Martin Rufer

Direktor Schweizer Bauernverband

Laurstrasse 10, 5201 Brugg
martin.rufer@sbv-usp.ch

Weitere Beiträge zum Thema

Medienmitteilungen
«Biodiversitätsinitiative: Extrem und nicht zielführend»

13.06.24 | Die Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» (Biodiversitätsinitiative) kommt am 22. September vors Volk. Für Bundesrat, Parlament und die (Land-)Wirtschaft geht sie viel zu weit. Sie würde die nachhaltige Energie- und Lebensmittelproduktion stark einschränken, die Nutzung des Waldes sowie touristische Infrastrukturen im ländlichen Raum erschweren und das Bauen verteuern. Es existieren bereits heute ausreichend Instrumente und gesetzliche Bestimmungen zur Biodiversitätsförderung. An ihrer Medienkonferenz erläutert eine breite Allianz ihre Argumente gegen die Initiative und gibt gleichzeitig den Startschuss für den Abstimmungskampf.

Mehr lesen
Medienmitteilungen
Knappes Ackerland für Lebensmittel nutzen

11.06.24 | Nach dem Nationalrat will auch der Ständerat die Pflicht für 3.5 Prozent Biodiversitätsflächen auf Ackerland aufheben. Der Schweizer Bauernverband begrüsst diesen Entscheid. Die Biodiversität auf Landwirtschaftsflächen lässt sich auch ohne diese Auflage weiter fördern.

Mehr lesen
Medienmitteilungen
Erneuerbare Energien ausbauen heisst Biodiversitätsinitiative ablehnen

09.06.24 | Das Volk unterstützt den Mantelerlass und die Förderung der erneuerbaren Stromproduktion. Doch die Umsetzung hängt auch vom Entscheid zur Biodiversitätsinitiative im September ab.

Mehr lesen
Stellungnahmen Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien

06.06.24 | Stellungnahme des Schweizer Bauernverbands zum Bundesgesetz über eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien.

Mehr lesen
Medienmitteilungen
1000 neue Elemente für mehr Biodiversität

04.06.24 | Mit 1000 neuen Kleinstrukturen oder Bäumen zusätzlichen Lebensraum für Wildtiere- und pflanzen schaffen: Das war das Ziel, einer im Februar 2024 gestarteten Aktion des Schweizer Bauernverbands mit Unterstützung von Coop. Nun ist dieses erreicht und die 1000 neuen Elemente sind umgesetzt. Eine interaktive Karte zeigt, auf welchen Betrieben sich diese befinden.

Mehr lesen
Stellungnahmen Aide à l’exécution de l’OFEV pour le service antipollution

30.05.24 | Prise de position de l'USP sur l'aide à l’exécution de l’OFEV pour le service antipollution.

Mehr lesen
Stellungnahmen Änderung der Tierseuchenverordnung

17.05.24 | Stellungnahme des Schweizer Bauernverbands zur Änderung der Tierseuchenverordnung.

Mehr lesen
Medienmitteilungen
Abfuhr für die Sparvorschläge des Bundesrats

07.05.24 | Der Bundesrat entscheidet bald über den landwirtschaftlichen Rahmenkredit für die Jahre 2026 bis 2029. Nicht nur der Schweizer Bauernverband, sondern viele weitere Organisationen sowie fast alle Kantone und Parteien sprachen sich klar gegen die geplanten Sparmassnahmen von 2.5 Prozent aus. Der Bundesrat ist in der Pflicht, das eindeutige Resultat der Vernehmlassung zu berücksichtigen, wenn die demokratischen Prozesse nicht zur Farce werden sollen.

Mehr lesen